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Gedanken zum Evangelium - 14. Sonntag im Jahreskreis

Bleib gefälligst normal!

Jesus ist beliebt bei seinen Zuhörern. Doch seine Familie, Nachbarn und Freunde schauen skeptisch auf den predigenden Zimmermannssohn. Ein Familienberater erklärt, was passiert, wenn junge Leute anders leben, als es von ihnen erwartet wird.

Evangelium

In jener Zeit kam Jesus in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm.

Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben.

Und Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte dort.

Markusevangelium 6,1b–6

Eigentlich könnten sich die Leute doch freuen! Da kommt der Zimmermann Jesus in seine Heimatstadt Nazaret und erzählt vom Reich Gottes. Vielleicht, dass Gott nicht nur die Frommen liebt, sondern alle. Dass er nicht nur streng ist, sondern ein Menschenfreund. Sie könnten sich außerdem freuen, dass Jesus gefragte Fähigkeiten mitbringt: Er kann Kranke gesund machen zu einer Zeit, als die Menschen den meisten Krankheiten noch hilflos ausgeliefert waren und oft nicht wussten, woran sie starben.

Die Leute in Nazaret könnten doch sagen: „Toll!“ Und: „Bleib hier, wir brauchen dich!“ Tun sie aber nicht. Im Gegenteil. Jesus ist ihnen suspekt. „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?“, fragen sie. Und Jesus beschließt, woanders zu lehren. Denn „nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie“, erklärt er frustriert.

Jesus scheint als Abweichler wahrgenommen worden zu sein – wie so viele. Vor ihm und nach ihm, in jedem Jahrhundert, in jeder Gesellschaft und in jeder Generation gab und gibt es Menschen, die ihre Umgebung zu Spinnern oder Sonderlingen erklärt. Für den Theologen und Pädagogen Christoph Hutter geht es bei diesem Evangelium deshalb auch um die Frage: „Wie angepasst muss ich sein und wie viele Abweichungen werden geduldet?“ Der Leiter der Ehe-, Familie- und Lebens- und Erziehungsberatung im Bistum Osnabrück sieht in dem, was Jesus in Nazaret passiert ist, ein gesellschaftliches Problem. Und auch einen Konflikt zwischen der älteren und der jüngeren Generation.

Darf man sein Leben auch ganz anders denken?

„Wenn der Papa Schreiner war und ich werde aber Wanderprediger, dann ist das schon ein dickes Ding“, sagt Hutter. Nicht nur, dass sich alle im Dorf „darüber das Maul zerreißen“, wie der Pädagoge sagt. Der Zimmermann in Nazaret hat „gefälligst Zimmermann zu sein und Zimmermannssachen zu machen“, erklärt Hutter eine Einstellung, die damals wie heute verbreitet ist. Wenn der sich jedoch mit alternativen Heilungsmethoden beschäftigt, dann nerve das die Nachbarschaft.

So wie die Leute damals erwartet haben könnten, dass Jesus wie alle anderen seine Brötchen verdient, so müssen sich junge Leute von heute ähnliche Reaktionen anhören. Dass das Klimaproblem einen wichtigen Platz in der gesellschaftlichen Debatte bekommen hat, ist den Jugendlichen von Fridays for Future zu verdanken. Doch dafür wurde ihnen der Vorwurf gemacht, dass sie doch lieber in die Schule gehen sollten, statt zu demonstrieren. Dass sie öffentlich mit Transparenten auf gravierende Probleme hinwiesen, war von vielen jedenfalls nicht erwünscht.

So geht es nicht nur den Klimaaktivisten. Hutter nennt auch „Menschen, die beschließen, sich als Transmenschen zu outen. Oder diejenigen, die die Schule abbrechen, weil sie sagen, sie haben andere Ideen.“ Wer sich damals wie heute fragt, ob er sein Leben „nochmal völlig anders denken darf“, bekommt von der „spießig-engen, dörflich-kirchlichen Umgebung“ jedenfalls häufig die Antwort: „Nein, Schuster bleib bei deinen Leisten!“, so Hutter. Denn das heimliche Ziel familiärer Erziehung sei schließlich gesellschaftliche Anpassung.

Es wäre vorstellbar, dass auch Jesus das Gefühl kannte, nicht ganz in die Gesellschaft zu passen. An der Geschichte, als er als Zwölfjähriger mit den Schriftgelehrten im Tempel diskutiert, wird für Hutter jedenfalls klar: „Diese Verwunderung der Menschen darüber, dass er anders auf die Welt schaut als andere, scheint Jesus begleitet zu haben.“ Es waren nicht nur die Schriftgelehrten, die über sein großes Wissen staunten. Auch seinen Eltern, die ihn suchten, gab Jesus eine seltsame Antwort: Er müsse in dem sein, wo sein Vater ist.

Am Ende sind sie doch solidarisch

Doch wie reagiert man als Familie, wenn ein Kind seltsam wird? „Mit Krisen ist zu rechnen“, sagt Hutter, „das sind Aushandlungsprozesse.“ Hier geht es schließlich darum, sich als Heranwachsender von seiner Familie zu lösen und selbstständig zu werden. Jesus muss wie jeder junge Mensch den Platz zwischen seiner Verwandtschaft und der Gruppe der Gleichaltrigen finden. Deutlich wird das, als ihn seine Mutter und seine Brüder von seinen Zuhörerinnen und Zuhörern wegholen wollen, weil sie meinen, „er ist von Sinnen“ (Markusevangelium 3,31–35).

Jesus reagiert ziemlich abweisend. Er erklärt seiner Familie, dass ihm die Menschen, die ihm nachfolgen, genauso wichtig sind. Das hat den Angehörigen vermutlich nicht gefallen. Doch sie wenden sich nicht von Jesus ab und „bleiben solidarisch. Denn am Ende steht Maria unter dem Kreuz“, sagt Hutter. Er erlebt immer wieder, dass Familien „die Wege ihrer Kinder in großer Solidarität mitgehen“, auch wenn sie vieles nicht verstehen können. Als Beispiel nennt er auch hier Transpersonen und seine Erfahrung, dass viele Eltern sich „über Jahre hinter ihre Kinder stellen, wenn sie auf der Suche nach ihrer eigenen – in dem Fall sexuellen – Identität sind“.

Von all dem profitieren auch die Generationen der Eltern und Großeltern. Denn einerseits ist die Familie der „Sozialisationsort“, sagt Hutter, an dem Jesus lernt, erwachsen zu werden und ein guter Zimmermann zu sein: „Aber irgendwann setzen auch die Kinder Impulse.“ Da müssten sich Eltern von ihnen „auch ein Stück von der Welt zeigen lassen“.

So sei die Antwort auf Fridays for Future schließlich  „Omas for Future, Eltern for Future, Wissenschaftler for Future oder Theologie for Future“ gewesen, zählt Hutter die neuen Gruppen auf. Es bedeute, so erklärt er: „Wir haben euren Impuls verstanden und wir versuchen, ihn in unsere Umgebung mit hineinzunehmen.“ Als ein Familienvater ihm einmal erzählte, er habe von niemandem so viel gelernt wie von seinen Kindern, antwortete Hutter: „Das würde ich sofort unterschreiben!“

Sie haben eine Mission: Klimaaktivisten, Teilnehmer am Christopher Street Day oder Missionarinnen werden für ihren Einsatz kritisiert und manchmal auch attackiert.

Barbara Dreiling